von Thomas Rünker

Bistum setzt auf Betroffenenbeteiligung, um Missbrauchs-Prävention und Aufarbeitung zu verbessern

Ein Jahr nach Vorstellung der Aufarbeitungsstudie zu sexualisierter Gewalt ist die Betroffenenarbeit im Bistum Essen neu aufgestellt: Seit Herbst 2023 gibt es eine feste Vereinbarung zur Zusammenarbeit zwischen dem Bistum und dem Betroffenenbeirat – samt Budget und einer hauptberuflichen Referentin, die den Beirat unterstützt und Betroffene bei Bedarf bei der Suche nach Unterstützungsangeboten begleitet.

Beteiligung Betroffener ist essentiell für Präventions- und Aufarbeitungsprozesse in der Kirche

Bistum Essen finanziert Betroffenenbeirat und schafft Stelle für Betroffenenarbeit

Weitere Unterstützungsangebote für Betroffene

Wenn die Prävention von sexualisierter Gewalt, die Intervention bei Tatvorwürfen und die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche verbessert werden sollen, dann braucht es dabei auch die Beteiligung von Menschen, die selbst von sexualisierter Gewalt betroffen sind. „Ohne Mitwirken und Mithilfe von außen – und insbesondere von Betroffenen – werden wir diesen Weg nicht gehen können“, hatte der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer im vergangenen Jahr mit Blick auf die zahlreichen Hinweise und Vorschläge aus der am 14. Februar 2023 vorgestellten Aufarbeitungsstudie des Bistums Essen gesagt. Ein Jahr später betont Pfeffer vor allem den „Dank, dass sich Menschen, denen Vertreter unserer Kirche großes Leid angetan haben, heute so intensiv engagieren, damit anderen Betroffenen geholfen und sexualisierte Gewalt in Zukunft möglichst verhindert werden kann.“ Mitglieder des Betroffenenbeirats wirken in der Aufarbeitungskommission sowie im Beraterstab mit, der bei aktuellen Fällen sexueller Gewalt Hinweise und Einschätzungen gibt. Weitere Betroffene haben in den zurückliegenden Monaten in verschiedenen Gremien des Bistums sowie auch in einzelnen Kirchengemeinden von ihren Erfahrungen berichtet. „Das waren immer wieder tief bewegende Momente, wenn Menschen in unserem Bistum den von sexueller Gewalt betroffenen Menschen persönlich begegnen. Das verändert manche Haltungen und stärkt die Bereitschaft, Prävention und Aufarbeitung voranzutreiben“, berichtet Generalvikar Pfeffer.

Neue Referentin soll Betroffene als „Lotsin“ durch Unterstützungsangebote führen

Bereits im vergangenen Herbst hatte sich Bischof Franz-Josef Overbeck mit dem Betroffenenbeirat über die künftige Zusammenarbeit verständigt. „Wir haben aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre und auch durch die IPP-Studie gelernt und dem Betroffenbeirat eine deutlich bessere finanzielle Ausstattung zur Verfügung gestellt“, so Generalvikar Pfeffer. Unter anderem hat sich das Bistum verpflichtet, die Arbeit des Betroffenenbeirats mit einem jährlichen Budget von rund 90.000 Euro zu finanzieren und den Mitgliedern des Beirats Aufwandsentschädigungen zukommen zu lassen. Zudem unterstützt eine hauptberufliche Kraft die Arbeit des Gremiums. In diesem Rahmen ist Claudia Marcinek seit Anfang des Jahres auf der neu geschaffenen Stelle der Referentin für Betroffenenarbeit tätig. Dabei unterstützt sie nicht nur die Arbeit des Betroffenenbeirats, sondern ist auch jenseits dieses Gremiums ansprechbar für Menschen, die von sexualisierter Gewalt im Bistum Essen betroffen sind. „Insbesondere bei Fragen zu den vielfältigen Hilfen und Unterstützungsangeboten, die es mittlerweile in diesem Bereich gibt, will ich eine Art Lotsin sein, die bei Bedarf mit den Betroffenen das individuell passende Angebot findet“, so Marcinek.

Turnunsgemäße Neuwahlen des Betroffenenbeirats gegen Ende des Jahres

Die IPP-Studie

Wie konnte und kann es zu sexualisierter Gewalt in den Pfarreien des Bistums Essen kommen – und wie kann diese Gewalt bestmöglich verhindert werden? Diesen Fragen hat sich das Bistum Essen mit der Beauftragung einer sozialwissenschaftlichen Studie gestellt. Diese Aufgabe hat ein Team des Münchener Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) übernommen und seine Ergebnisse am 14. Februar 2023 in Essen vorgestellt. Seitdem hat ein Team des Bistums mit externer Unterstützung die umfangreichen Handlungsempfehlungen der Studie gesichtet und so aufbereitet, dass diese nun Schritt für Schritt umgesetzt werden können. Unter aufarbeitung.bistum-essen.de sind die zentralen Ergebnisse der Studie sowie das komplette Dokument abrufbar.

Nach Aufbau und Strukturfragen kann sich der Betroffenenbeirat nun ganz auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren. Insbesondere mit Blick auf die Arbeit des gerade erst erweiterten Stabsbereichs Prävention, Intervention und Aufarbeitung im Bistum Essen soll der Beirat die Stimme der Betroffenen sein, die alle relevanten Veränderungen im Bistum Essen kritisch begleitet. Voraussichtlich zum Ende des Jahres wird der Betroffenenbeirat dann alle Betroffenen im Bistum Essen zur turnusgemäßen Neuwahl des Gremiums einladen. Die Vorbereitungen dazu laufen gerade und werden von einem unabhängigen Notar begleitet.

„Natürlich ist uns auch bewusst, dass wir das Leid, das Betroffene im Raum der Kirche erlitten haben, nicht wieder gut machen können“, gesteht Pfeffer ein. Er weiß, dass viele Betroffene unzufrieden sind mit den Anerkennungszahlungen und von der katholischen Kirche, aber auch von Staat und Gesellschaft, mehr Unterstützung erwarten. Angesichts der großen Zahl an Betroffenen und mancher Schwächen des Verfahrens zur Beantragung von Anerkennungsleistungen, auf das sich die Bischöfe bundesweit verständigt hatten, kommt es in einzelnen Fällen zu Verzögerungen und Fehlern. „Von unserer Seite tun wir alles, um die Schwachpunkte auszubessern“, so der Generalvikar. Deshalb wurden die Abläufe in der Bistumsverwaltung verbessert – verbunden mit Personalaufstockungen in diesem Bereich.

Anwaltliche Hilfe bei der Beantragung von Anerkennungsleistungen

Betroffene können Akten einsehen

Um Betroffene von sexualisierter Gewalt bei der persönlichen Aufarbeitung ihres Falls zu helfen und die wissenschaftliche Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche zu unterstützen, ermöglicht das Bistum Essen ab sofort die Einsicht in Aktenbestände zu Missbrauchsfällen. Weitere Informationen gibt es online unter missbrauch.bistum-essen.de.

Um Betroffenen bei der Antragstellung und insbesondere bei einem Widerspruch oder einer erneuten Antragstellung eine zusätzliche Hilfe zu ermöglichen, hat das Bistum ganz aktuell eine Regelung erlassen, die es Betroffenen ermöglicht, hierbei anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. „Wir wissen, dass manchmal schon die Antragstellung aber insbesondere die weiteren Verfahrensschritte für manche Betroffene eine große Herausforderung und Belastung darstellen – darum haben wir auch hier eine zusätzliche Hilfe möglich gemacht“, so der Justitiar des Bistums, Claus Zielinski.

In den nächsten Wochen wird darüber hinaus eine Regelung in Kraft gesetzt, die Betroffenen finanzielle Unterstützung bei Therapien, Kuren- und Rehamaßnahmen sowie psychosozialen Leistungen ermöglichen wird. Pro Person können bis zu 15.000 Euro unter bestimmten Vorraussetzugen erstattet werden. Derzeit laufen die letzten Klärungen, damit das Regelwerk dann bald in Kraft gesetzt werden kann. Für diese Leistungen stellt das Bistum allein für das Jahr 2024 ingesamt 100.000 Euro zur Verfügung.

Pressestelle Bistum Essen

Zwölfling 16
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